Er hat Corona besiegt: Zwölf Tage auf der Intensivstation, starke Verwirrtheit und epileptische Anfälle

Im März, während der ersten Coronawelle, infizierte sich der 72-jährige Hans Gerhard Dahm mit dem Coronavirus. Es folgten ein monatelanger, harter Kampf gegen die Krankheit – und ein Happy End. 

 

Schattdorfer Hans Gerhard Dahm an einem seiner Lieblingsplätze in Isleten am Urnersee. / Bild: Pius Amrein (24. November 2020)

 


«Ich hatte plötzlich hohes Fieber und bekam Durchfall – es wurde immer schlimmer.» Hans Gerhard Dahm erzählt von den Anfängen seiner Coronainfektion. Damals im Frühling konnte der 72-Jährige aus Schattdorf noch nicht ahnen, welch dramatischen Verlauf seine Coronaerkrankung nehmen würde. Am Freitag, dem 22. März, machte er den Coronatest, zwei Tage später wurde er von Sanitätern in das Kantonsspital Uri in Altdorf eingeliefert. Wo und wie er sich angesteckt hatte, weiss Gerhard Dahm nicht.

 

Nach nur einem Tag auf der Isolierstation wurde der zweifache Vater in die Intensivstation verlegt – sein Zustand hatte sich verschlechtert. Dort verblieb Dahm vorerst für zehn Tage. Er musste künstlich beatmet werden – ernährt wurde er mittels Magensonde. Nach zehn Tagen auf der Intensivstation wurde Dahm wieder auf die Isolierstation verlegt. Nur zwei Tage später verlegten ihn die Ärzte erneut auf die Intensivstation – diesmal ohne künstliche Beatmung. Die Schmerzen, die er auf der Intensivstation verspürte, könne er nicht in Worte fassen: «Ich habe nicht richtig wahrgenommen, dass ich künstlich beatmet wurde.»

 

 

«Ich weigerte mich, Medikamente einzunehmen»

Auch sonst kann sich Hans Gerhard Dahm nur vereinzelt daran erinnern, was im Spital passierte. Nebst zahlreichen epileptischen Anfällen hatte er mit starker Verwirrtheit zu kämpfen. Dieser Zustand ging so weit, dass er Träume für echt hielt: Aus diesem Grund wurde er nach zweiwöchigem Aufenthalt im Kantonsspital Uri in die neurologische Abteilung des Luzerner Kantonsspitals verlegt, wo er entsprechende medikamentöse Behandlung erhielt.

 

In seinem Traum fand die Verschiebung per Helikopter statt. Dahm konnte es kaum glauben, als man ihm später sagte, dass er mit der Ambulanz nach Luzern gebracht wurde – das Geträumte fühlte sich stets echt an. Dahm erinnert sich an einen weiteren Traum: Er träumte, dass ihn seine Frau im Kantonsspital Luzern besuchen wollte, vom Personal jedoch nicht in das Zimmer gelassen wurde. Im Traum konnte er seine Frau in den Gängen des Spitals hören. Der ehemalige Chemieingenieur sagt: 

 

«Weil das Personal meine Frau nicht ins Zimmer liess, weigerte ich mich, die Medikamente einzunehmen.»

 

Seine Frau rief ihn später an, um ihm mitzuteilen, dass er dies nur geträumt habe und sie gar nicht zu Besuch gekommen sei. 

 

«Die Pfleger mussten mich am Bett fixieren»

Dahm erinnert sich an einen Vorfall auf der Intensivstation: «Ich habe mit der Ärztin gesprochen und dachte, dass ich jetzt nach Hause gehen kann.» Aus diesem Grund sei er aufgestanden und wollte das Zimmer verlassen. Dahm sagt:  

 

«Die Pfleger mussten mich zurückhalten, weil ich aufgestanden bin und gehen wollte. Ich hätte dadurch mich und das Personal gefährdet.»

 

Schliesslich sei er vom Pflegepersonal mit einem speziellen Bettüberzug am Bett fixiert worden. «Ich konnte nicht verstehen, dass ich nicht nach Hause gehen kann», erinnert sich Dahm. Die Verwirrtheit sei schubweise aufgetreten, Momente, in denen er vollkommen wach war, häuften sich, nachdem er nicht mehr künstlich beatmet werden musste.

 

Auf der Intensivstation hätte er in einem wachen Moment gemerkt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt, und sich dementsprechende Gedanken gemacht. Angst hingegen sei nie ein Thema gewesen. Dahm sagt:  

 

«Hätte ich sterben müssen, dann hätte ich dies akzeptiert – ich hatte ein schönes Leben.»

 

14 Kilogramm abgenommen

Am 23. April, nach 30 Tagen im Spital, wurde Gerhard Dahm entlassen. Es folgte eine rund sechswöchige Kur in der Rehaklinik Adelheid in Unterägeri. Die Coronaerkrankung hinterliess Spuren. Dahm sagt: «Ich hatte 14 Kilo abgenommen und fühlte mich zu Beginn sehr schwach.» Zudem war er in seiner kognitiven Wahrnehmung eingeschränkt. «Mehrere Dinge gleichzeitig zu machen, fiel mir schwer», resümiert er. In dieser Phase stellten die Ärzte zudem eine Hirnblutung bei Dahm fest. Ob diese vor oder während der Coronaerkrankung stattgefunden hatte, konnten die Ärzte nicht beurteilen. 

 

Infolgedessen war sein linkes Gesichtsfeld ein wenig eingeschränkt. Auf das Autofahren musste Dahm lange verzichten – seit dem ersten November darf er sich wieder selber hinter das Steuer setzen –, zur Sicherheit muss er noch eine geringe Dosis der Epilepsie-Medikamente einnehmen. Dahm freut sich, dass er wieder Auto fahren darf: «Ich habe ein Stück Freiheit zurückgewonnen, wobei ich es auch genossen habe, als mich meine Frau überall hinchauffierte», sagt er lachend. Dahm ist in zweiter Ehe verheiratet, nachdem seine erste Frau im Jahr 2003 verstorben war.

 

 

Grundsätzliche Einstellung zum Leben verändert

Nach überstandener Krankheit geniesst Dahm das Leben in vollen Zügen. Er geht gerne raus in die Natur, um Velo zu fahren oder einen Spaziergang zu machen. «Ich bin sehr dankbar, dass ich dies überstehen konnte», sagt Dahm. Er sei dankbar, in diesem Land leben zu dürfen, und schätze die hohe medizinische Versorgung. Nach zahlreichen Physio- und Ergotherapie-Stunden gehe es ihm heute wieder ausgezeichnet, zumal auch die Unterstützung von Familie und Freunden dazu beigetragen habe. Nach dem schweren Verlauf seiner Coronainfektion sei dies alles andere als selbstverständlich, wie er sagt.

 

Im Alter von 72 Jahren, als ehemaliger Raucher und Träger von vier Bypässen im Herzen, gehört Dahm nämlich zur Risikogruppe. Seit es ihm wieder besser geht, habe sich seine grundsätzliche Einstellung zum Leben verändert. Das will heissen, dass er gewisse Dinge noch mehr wertschätzt als zuvor. So habe sich unter anderem auch sein Verhältnis zur Umwelt verändert: Muss ich unbedingt Erdbeeren im November kaufen? Muss ich jetzt unbedingt mit dem Auto fahren? Muss ich unbedingt alles haben, was ich will? – Dies seien Fragen, die er sich in letzter Zeit vermehrt stelle. 

 

Ärger über Coronaverharmloser

Hans Gerhard Dahm hat am eigenen Leib erfahren, wie heftig eine Infektion mit dem Coronavirus verlaufen kann. Umso mehr ist es für ihn unverständlich, wenn Menschen die Gefahr von Corona herunterspielen. Schliesslich wisse man heute viel mehr über das Virus als noch im Frühling. Von der Politik wünscht er sich, dass die Gesundheit mehr in den Fokus genommen wird – weniger die Wirtschaft.