Das Velovirus führt zu langen Wartefristen: Dieser Krienser Fachhändler erzählt, wie Corona seinen Alltag veränderte

Das Velovirus führt zu langen Wartefristen: Dieser Krienser Fachhändler erzählt, wie Corona seinen Alltag veränderte

Velofahren boomt. Das merkt auch der Veloladen Velociped in Kriens: Auch für ihn ist es eine Herausforderung, die hohe Nachfrage zu stillen. Wer sehnsüchtig sein neues Velo erwartet, muss sich teils noch bis im Herbst gedulden.

Bild: Pius Amrein (Luzern, 16. Juli 2020)

 

Deutlich mehr Veloverkäufe

Während des Shutdowns entdeckten viele Schweizer das Velo wieder – sowohl als Sportgerät als auch als Fortbewegungsmittel. Eine Entwicklung, die noch immer anhält. Diese Entwicklung erfreut die Velohändler. In einer Mitteilung des Branchenverbands Velosuisse heisst es etwa: «Mehrere Importeure haben deutliche Zuwächse beim Abverkauf von Ersatzteilen und Verbrauchsmaterial wie Reifen, Schläuche, Bremsklötze, Ketten, Ritzel, Kabel und diverse Lager.»

 

Der durchschnittliche Umsatzzuwachs gegenüber dem Vergleichszeitraum im letzten Jahr betrage 15 bis 25 Prozent. Auffällig: Die Reifengrösse 26 Zoll war laut Velosuisse wieder vermehrt nachgefragt – ein Hinweis darauf, dass ältere Mountainbikes und Alltagsräder wieder fahrtüchtig gemacht wurden. Denn aktuelle Fahrräder haben grössere Räder. Martin Platter, Geschäftsführer von Velosuisse, erklärt auf Anfrage: Etliche Velohersteller konnten im Mai dreimal so viele Velos verkaufen, wie im selben Zeitraum im Vorjahr.

 

Es dürften damit schweizweit massiv mehr Velos verkauft worden sein.

Diese wurden auch fleissig benutzt, wie eine Mobilitätsstudie der ETH und der Uni Basel zeigt: So haben die gefahrenen Velokilometer ganz besonders während des Lockdowns deutlich zugenommen:

 

Interessant ist auch die Entwicklung der zurückgelegten Velokilometer im Vergleich zu anderen Fortbewegungsarten. Besonders eindrücklich zeigt das diese interaktive Grafik:

 

Den Forschern kam ein Zufall zu Hilfe. Denn ursprünglich führten sie die Studie zwischen September 2019 und Januar 2020 – also vor der Coronakrise – durch: Dabei wurde das Mobilitätsverhalten von 3700 Personen per App aufgezeichnet. Während der Krise zeigten sich dann gut 1600 der Teilnehmer bereit, sich erneut tracken zu lassen.

 

«So grosse Lust zum Velofahren wie jetzt hatten die Leute noch nie»

Auch Marius Graber, Geschäftsführer von Velociped in Kriens berichtet von der grossen Nachfrage: «So grosse Lust zum Velofahren wie jetzt hatten die Leute noch nie». Er bestätigt die Vermutung, dass viele ihre alten Velos aus der Garage holten und in der Werkstatt wieder auf Vordermann bringen liessen. Doch nicht nur die Werkstatt laufe auf Hochtouren, sondern auch der Verkaufsladen von Velociped. So verkaufte der Krienser Veloladen seit der Wiedereröffnung am 11. Mai spürbar mehr Räder als noch im selben Zeitraum im Vorjahr.

 

Genaue Zahlen könne er noch nicht nennen, da die Auswertung der Verkäufe noch nicht vorliege. Graber schätzt, dass es durchaus 15 Prozent oder gar noch mehr sein dürften. Im nachfolgenden Video erzählt Marius Graber, wie Corona den Alltag in seinem Betrieb veränderte. 


Doch nicht alles läuft rund: Graber hat mit Lieferengpässen zu kämpfen – fast alle Teile seiner Velos werden in Fernost produziert. «Man merkt, dass die Häfen und Fabriken in Asien eine Zeit lang geschlossen waren», sagt Graber. Darum müssten nun Kunden auf manche Modelle bis im Herbst warten. Die Hersteller seien teilweise im Verzug und müssten nachproduzieren. 

Hoch im Kurs: Rennvelos, E-Mountainbikes, Kindervelos

Während des Shutdowns konnte das Velociped-Team nur indirekt Velos verkaufen. Beratungen hätten per Telefon oder E-Mail stattgefunden. Die Velos seien mittels Lieferservice zu den Kunden gebracht worden. «Wir sind zuerst erschrocken, als wir den Laden schliessen mussten», sagt Graber. Es sei ein grosser Teil des Umsatzes weggebrochen, den man für die Löhne und Mieten brauche. Als er den Laden am 11. Mai wieder öffnen durfte, sei die Kundschaft sofort wiedergekommen – mit vielfältigen Wünschen: «Vor allem Mountainbikes, Rennvelos und E-Mountainbikes konnten wir sehr gut verkaufen.»

 

Auch dass viele Leute coronabedingt aufs Reisen im öffentlichen Verkehr verzichten, macht sich bemerkbar. Jenen Personen würden sie hauptsächlich Velos mit Gepäckträger und Schutzblechen verkaufen, so Graber. Eine weitere Beobachtung: «Interessanterweise erleben wir einen Boom bei Kindervelos, insbesondere bei leichten Kindervelos.» Graber meint, dass viele Familien während des Shutdowns mehr Zeit draussen verbracht haben und dabei auch häufig mit dem Velo unterwegs waren. Kurz: Ob zum Vergnügen oder als aus praktischen Gründen – seit dem Shutdown steigen wieder mehr Leute aufs Velo.

Je lockerer die Massnahmen, desto grösser die Zahl unfreundlicher Kunden

Das Werkstatt-Team von Velociped konnte in den vergangenen Wochen nicht alle Reparaturanfragen bewältigen. «Wir mussten tatsächlich Kunden abweisen», erklärt Graber. Dies sei für das Team eine unangenehme Situation. Darauf reagiert hat das Geschäft, indem es begann, individuelle Verkaufsgespräche zu vereinbaren.

 

Doch nicht nur das Kauf-, sondern auch das Kundenverhalten habe sich während der Coronakrise verändert. Die Kunden seien ausserordentlich freundlich gewesen; vermutlich, weil man während der Krise generell besser zueinander geschaut habe. Doch: «Mit jeder Lockerung der Massnahmen nahm bei gewissen Kunden die Freundlichkeit wieder ab», bedauert Graber. Das Verständnis für die gegenseitige Situation sei geschwunden, die Reklamationsquote wieder gestiegen, der Ton in den Mailanfragen harscher geworden. Doch Marius Graber lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen: «Im Gegensatz zu Corona ist der ausgebrochene Velovirus ja äusserst gutartig.»

E-Bikes werden besonders gut verkauft

Immer mehr Velos hierzulande sind motorisiert. 19.1 Prozent – so gross war der Zuwachs schweizweit verkaufter E-Bikes vom Jahr 2018 auf 2019. In Zahlen ausgedrückt sind das 13'3033 E-Bikes. Im Jahr 2018 erzielte das E-Bike ein Rekordplus von 27 Prozent. Gemäss Martin Platter von Velosuisse dürfte der Anteil an E-Bikes auf dem Gesamtmarkt noch weiter zunehmen: «So wie es bis jetzt aussieht, werden die Zahlen Ende Jahr nochmals 10 bis 20 Prozent höher sein.»

 

Im Strassenverkehr werden E-Bikes in zwei verschiedene Kategorien eingeteilt: «Langsame» E-Bikes (Tretunterstützung bis 25 km/h) und «schnelle» E-Bikes (Tretunterstützung bis 45 km/h). Letztere brauchen ein gelbes Kontrollschild und eine Vignette, dementsprechend müssen sie beim Strassenverkehrsamt angemeldet werden. Beim Strassenverkehrsamt Luzern sind derzeit 7266 E-Bikes mit gültiger Vignette registriert. (Stand 17.07.) Zum Vergleich: Im Januar 2016 waren 3849 E-Bikes eingelöst.

Diese sechs Velofahrtypen kennt jeder

Diese sechs Velofahrtypen hat wahrscheinlich jeder schon mal auf der Strasse angetroffen – Stereotypen mit kleinem Augenzwinkern.

Der Rennfahrer

                                                                                                                                 Grafik: Janina Noser


Nach dem Motto «Nützt es nichts, schadet es nichts», kauft er sich das beste Equipment. Ein ultraleichtes und im Windkanal getestetes Rennvelo aus Carbon – teurer als das Auto in seiner Garage. Sein schmerzverzerrtes Gesicht lässt erahnen, dass die Ausfahrten nicht immer angenehm sind. Schlechtes Wetter gibt es für ihn nicht – trainiert wird bei allen Witterungsbedingungen. Er macht sich einen Spass daraus, motorisierte Fahrzeuge zu überholen, um zu zeigen, dass viel Power aus seinen rasierten Waden kommt. Sein Trikot ist farblich auf das Velo abgestimmt. Rennfahrer treten oft auch in Gruppen auf und sind dann für viele Autofahrer ein Ärgernis.


Der Fixie-Rider

Grafik: Janina Noser


«Back to the roots» – für den Fixie-Rider ist Velofahren eine puristische Angelegenheit. Das Fixie hat nur einen Gang, keinen Freilauf, sondern eine Starrnabe. Das heisst: Die Pedale dreht bei jeder Radumdrehung mit; Beine ausruhen gibt es nicht. Häufig fehlen Bremsen, was gesetzeswidrig ist. Zum Stillstand bringt man das Fixie, indem der Fahrer eine Gegentretbewegung macht und so das Hinterrad blockiert. Das Erscheinungsbild eines Fixie-Fahrers ist häufig hipsterhaft; vielfach hocken bärtige Jungs mit Tattoos, einem Cyclecap und einem expressiven Kleidungsstil auf dem Sattel. Das Fixie ist häufig Teil eines Lebensstils.


Die Holländerin

Grafik: Janina Noser


Die Holländerin ist meist eher gemütlich unterwegs. Im Sommerkleid fährt sie auf ihrem bunten Hollandvelo in die Stadt zum Einkaufen oder in ein kleines Café, wo sie sich mit ihren Freundinnen trifft. In aufrechter Sitzposition geht's weiter in die Badi. Im grossen Korb am Lenker liegen Badetuch, Volleyball und eine Trinkflasche aus Edelstahl. Eine grosse farbige Klingel am Lenker darf nicht fehlen. Wird es dunkel, so zeigt ihr die Lampe, die vom Dynamo angetrieben wird, den Weg. Wann immer man die Holländerin auf ihrem Velo sieht, wird schnell klar: Sie geniesst es, damit durch die Gegend zu fahren.


Der Business-Man

Grafik: Janina Noser


Er hat gemerkt, dass er den morgendlichen Berufsverkehr am schnellsten mit dem Velo meistert. Im Anzug und Krawatte pedaliert er am Stau vorbei, damit er pünktlich zur Sitzung erscheint. Auf dem Gepäckträger hat er seine Aktentasche eingespannt. Beim Café um die Ecke hält er kurz an und holt sich einen Kaffee zum Mitnehmen. Da er es eilig hat, schaut der Business-Man gewisse Verkehrsregeln eher als Empfehlung an.


Die E-Bike-Fahrerin

Grafik: Janina Noser


Immer öfter sieht man die E-Bike-Fahrerin auf den Strassen. Der Altersdurchschnitt dieses Velofahrtyps ist im Vergleich zu den anderen höher, wobei immer häufiger auch jüngere Menschen mit dem E-Bike unterwegs sind. Die Autofahrer schätzen die gelben Leuchtwesten und Helmüberzüge der E-Bike-Fahrerin – so ist sie jederzeit gut sichtbar. Ohne einen Tropfen Schweiss zu verlieren, überholt sie den 20 Jahre jüngeren Rennradfahrer beim Aufstieg.


Der Mountainbiker

Grafik: Janina Noser


Er fühlt sich auf den Alpentrails und in den Bikeparks zu Hause. Ähnlich wie der Rennfahrer gibt auch er mehrere Tausend Franken für sein Bike aus. Viele Mountainbiker sind an ihren Schürfwunden und Narben zu erkennen – Stürze gehören eben zum Geschäft. Er wird öfters von Wanderern zurechtgewiesen – auf Wanderwegen ist er nicht erwünscht. Zurück in der Stadt holt er sich im Tankstellenshop Energie aus der Dose, bevor er weiter in den Biergarten zieht. Jegliche Hindernisse auf der Strasse überspringt er gekonnt. Er zieht die Blicke auf sich, indem er per Wheelie, also auf dem Hinterrad, durch die Strassen fährt.